Um 5.45 Uhr ist die Nacht vorbei: „Mami, wach auf, wir kommen sonst noch zu spät in die Kita!“, steht Caspar vor unserem Bett. Kaum möglich, denke ich schlaftrunkend, die fängt erst um 8 Uhr an. Zu Nikolaus großer Freude fahren wir wenig später mit dem Taxi in die German International School Saigon (GISS). Dort angekommen werden die Kinder schon am Bürgersteig von den Security Guards in Empfang genommen und sollen sich mit Desinfektionsmittel die Hände waschen. Große Skepsis bei August. Caspar, August und Nikolaus kommen (in dieser Reihenfolge) in die Gruppen Krokodil, Fisch und Schildkröte. Ihre Mitstreiter tragen die beliebten deutschen Namen Nanh Chi, Tran und Nam. Und Fritz und Karl sehen aus wie Tran und Nam. Sehr verwirrend für C+A+N. Unsere Kinder sind die einzigen 100%ig deutschen Kinder, was auch erklärt, warum wir einen Super-Discount für die 10 Wochen Schulgeld bekommen haben. Vermutlich werden die Jungs noch in den nächsten fünf Jahren jeden Prospekt sowie die Webseite der GISS schmücken, endlich „echte, deutsche Kinder“. (Bei vielen Kindern ist der einzige Bezug zu Deutschland der, dass der Vater Fan von Borussia Dortmund ist.)
Freundliche Guards warten mit Desinfektionsseife auf die Kinder |
Großer Auftakt im Kindergarten |
Die Schule ist eine IB (International Baccalaureate)–Schule, schon im Kindergarten werden die Kinder auf das Abitur vorbereitet. Im 45 Minutentakt nehmen nehmen die Kinder Deutsch, Englisch, Mathe, Sachkunde, Musik, Theater, Yoga, Sport, Spielplatzspiel und Tanz durch. Nikolaus hat an diesem Morgen Sachkunde, August Yoga und Caspar Mathematik. Bei jedem Ortswechsel stellen sich die Kinder im Gänsemarsch auf, singen „Hands on shoulders, hands on shoulders“ und ziehen weiter. Das komplette Gegenteil zu unserer „offenen“ Kita. Auch wenn unsere Berliner Kita nicht immer optimal ist, das hier ist mir zu verkopft und zu angestrengt. August nervt das ganze ohnehin mächtig, besonders als Tanz auf dem Programm steht. Joyce, eine bildhübsche Mauritianerin, übt mit den Kindern Salsa. Christian würde bei ihrem Anblick – und vor allem bei dem ihres Hüftschwungs – sofort mit seinen Söhnen tauschen. Als nächstes tanzen die Kinder Gangnam Style, Joyce dreht richtig auf, die kleinen Mädchen gehen mit, sehr süß. August findet es blöd: „Ich hab` gesagt, ich will Sport machen, nix von Tanzen!!!“ Überhaupt hat er sich es alles etwas anders vorgestellt: „Ich hab`gesagt, ich will Englisch lernen und nicht, dass die die ganze Zeit Englisch reden und ich nur „no, no, no“, verstehe!!“
Die meiste Zeit bin ich bei Nikolaus, der reichlich verschüchtert ist. Im Sachkundeunterricht nehmen die Kinder das Thema Mexiko durch, das hätten sie sich ausgesucht (die Kinder?!?), erklärt mir Eva. Ich hüpfe mit Sombrero auf dem Kopf, Maracas in der Hand, Nikolaus auf dem Arm durch den Raum und trällere ein mir unbekanntes mexikanisches Lied nach. Es ist einer dieser Momente, in denen ich besser nicht darüber nachdenke, ob es eine gute Entscheidung war, nach Vietnam zu kommen. Nikolaus findet tanzen übrigens genauso blöd wie August. Nikolaus hat zwei Erzieherinnen (bei insgesamt fünf Kindern), eine Schweizerin (Eva), die der Prototyp einer Schweizerin ist, ruhig, nachdenklich, ernst, langsam, ein bisschen langweilig, aber sehr fürsorglich. Und Andrea, eine junge, hoch motivierte und enthusiatische Amerikanerin aus Maryland, die mich an diesem Morgen völlig fertig macht. An jedem Satzende spricht sie vor lauter Begeisterung jeweils eine Octave höher. So viel gute Laune und Begeisterung bin ich nach fünf Jahren Ost-Berliner- Erzieherinnen nicht mehr gewohnt. Und im Übrigen kann ich so viel gute Laune auch gar nicht verkraften bevor ich nicht zwei Cafe Latte intus habe (was ich an diesem Morgen nicht habe). Nikolaus hat indes weniger Vorbehalte und als es ans Aufräumen geht, singt er mit Andrea: „Tidy up, tidy up!“
Caspar hat einen großartigen Tag in der Kita. Er will überall mitmachen, alles ausprobieren, nur Musik auf Englisch findet er nicht so gut. Er hat auch schon „fast“ eine Freundin. In sein „Communication Book“ schreibt seine Lehrerin: „Heute haben wir ein Buchstaben Memory gespielt. Caspar kann schon sehr viele Buchstaben. Wir freuen uns, dass Caspar bei uns ist. Er ist eine Bereicherung für unsere Gruppe!“ Nachdem ich Caspar erkläre, was eine Bereicherung ist, ist er noch glücklicher, ich muss ihm die Zeilen noch fünf Mal vorlesen. Morgen will er „so lange die Kita offen hat“ in die Kita gehen. Trotz aller Vorbehalte: Die Erzieherinnen sind allesamt sehr nett und kümmern sich rührend um die Kinder. Zehn Mal besser als Nanny (auch zehn Mal so teuer ☹). Und Christian und ich sind irre stolz, wie die Kleinen die neue Situation meistern. Es ist natürlich wahnsinnig anstrengend für sie, August muss viel weinen.
Nachtrag: Mittlerweile gehen die Kinder schon drei Wochen in die Kita. Caspars Enthusiasmus hat nachgelassen, ebenso Augusts Skepsis. Begeistert tanzen Nikolaus und August zu dem Techno-Song „Ich bin ein Gummibär“.
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