Kindertee auf vietnamesisch

Neulich in Mui Ne habe ich Anna kennengelernt. Anna hat drei Kinder in unserem Alter und lebt seit zwölf Jahren in Asien, neun davon in Saigon. Sie kennt alles und jeden und ist fester Bestandteil des Soziallebens in An Phu/Thao Dien. Sie organisiert eine Art Kindertee, hier Baby-Group genannt, Schwimmkurse für die Größeren, hat ihr eigenes Kinderkleiderlabel (http://www.joaniecat.com/) und vieles mehr. „Komm doch am Dienstag auch zur Babygroup“, lädt sie mich ein.

Nun habe ich, nachdem ich meine drei Jungs endlich im Kindergarten geparkt habe, so überhaupt kein Interesse, meine hart erkämpften freien Vormittage wieder aufzugeben und mit Nikolaus Tee trinken zu gehen. Ich gehe ohne Kinder hin, ein paar soziale Kontakte aufzubauen ist sicher gut. An diesem Dienstagmorgen findet die Babygroup bei Mary statt. Mary ist tiefenentspannt, obwohl in wenigen Minuten sechs Mütter und rund zehn Kinder einfallen werden. Kein Wunder, Marys Hilfen schneiden Melonen in Häppchen, verzieren Cup-Cakes und kochen Tee. Die ersten Kinder kommen in Begleitung ihrer Mütter und Nannies. Cats Sohn Kay kommt nur mit Nanny, da Cat bei ihrer kranken Mutter in London ist. Mary selbst wird nach einer Stunden gehen und ihre Gäste zurücklassen, die Helfer und Nannies regeln das schon. Später erfahre ich, dass es auch eine „Nanny Playgroup“ gibt, immer Mittwochsnachmittag, dort treffen sich nur die Nannies mit den Kindern.

Babygroup – diesmal in kleiner Runde

Louisa, Marissa und Anna – meine Saigoner Freundinnen 

An diesem Morgen sind die Mütter aber auch dabei. Die meisten Kinder sind drei, vier Jahre alt, denn es ist einfach zu teuer, die Kinder täglich in den Kindergarten zu geben – bei Jahresgebühren von umgerechnet 8000 bis 10000 Euro durchaus nachvollziehbar. Während die Nannies die Kinder bespaßen, trinken wir Tee. Herrlich. Braden kommt gerade von ihrer Laos-Reise wieder, Louisa aus Australien. „Did you buy anything?“, fragt Lisa. Ich gucke sie unglaubwürdig aus. Die Standardfrage nach den Ferien ist doch: Wie war das Wetter? Was habt ihr gemacht? Aber ich habe meine Freundinnen noch nie gefragt, ob sie – etwa in Italien – etwas gekauft haben?!? Erst Wochen später werde ich verstehen, dass Einkaufen ein Grund ist, warum man – in einem Entwicklungsland lebend – verreist. Doch ich habe einen herrlichen Vormittag, finde heraus, wo ich Pilates machen kann, in welchem Hotel man in mit kleinen Kindern Angkor Wat übernachten und überhaupt genieße ich es sehr, Gesprächspartner zu haben, die älter als sechs Jahre sind.

Ein paar Tage später lade ich die Ladies, wie wir uns nennen, mit ihren Kindern ins Riverside ein. Anna hat gleich sechs Kinder im Schlepptau, wovon aber nur zwei ihre eigenen sind. Sie reist in einer Wagenkolonne mit zwei Autos samt Fahrern sowie mit drei Nannies an, wovon wiederum auch nur eine zu ihr gehört. Mary und Lisa, die Mütter der anderen Kinder, müssten arbeiten, erklärt sie. Während die Nannies die Kinder umziehen und frisch geschnittenes Obst reichen, überblickt Anna die Gesamtlage. Gleichzeitig ist sie am Telefon mit ihrem Fahrer, der ihren ältesten Sohn Ben von einer Geburtstagsparty zur nächsten bringen soll. Mit drei Kindern hätte sie einfach viel zu organisieren, sagt sie schulterzuckend. Aber zum Glück habe sie hier viel Hilfe.

Das Tram

Seit ein paar Tagen haben wir eine Haushaltshilfe, eine Mitfünfzigerin namens Frau Tram (heißen hier übrigens fast alle). Die Kinder sind begeistert. Caspar schreibt an seine Kindergartenfreunde: „Wir haben hier auch so eine Art Jenny. Nur, dass sie nicht auf Kinder aufpasst. Sie schneidet den ganzen Tag (zur Erklärung: Mangos usw.). Und ratet einmal wie sie heißt? Sie heißt Frau Tram – wie die Tram!“. Der Name bereitet Caspar große Freude: Jeden Tag, wenn wir aus der Kita nach Hause kommen und Caspar Frau Trams Schuhe vor unserer Wohnungstür erblickt, fängt er an zu kichern. „Stell dir vor, wenn ich wieder in Berlin in der Kita bin und Karl-Titus dann erzähle, dass wir eine Tram haben“, kichert er. „Die werden staunen. Und dann sage ich: Und unsere Tram bügelt“, und dabei kringelt er sich vor Lachen. Und jeden Tag wiederholt er mit der gleichen Begeisterung seinen Witz. Auch Nikolaus ist ein großer Fan: „Ist DAS Tram da?“, fragt er jeden Mittag.

Unsere Wohnung blitzt und blinkt – wie hier an Augusts Geburtstag

Frau Tram zeichnet sich zunächst durch ihren mürrischen Gesichtsausdruck und ihre ausgesprochene Langsamkeit aus. Barfuss schleicht sie durch unsere Wohnung, macht die Betten, schneidet Mangos und Drachenfrüchte in Häppchen und bügelt die Wäsche – alles in Zeitlupentempo und ganz ohne System. Das Tempo macht mich wahnsinnig. „Sie hat ja auch nichts anderes zu tun“, wirft meine Freundin Sabine ein. Da hat sie sicherlich Recht. Vielleicht sind wir in Deutschland auch etwas krankhaft, wenn es darum geht, immer alles möglichst schnell zu erledigen…

Auch als Babysitterin ist Frau Tram ziemlich unbrauchbar. Als Christian und ich eines Abends weggehen ruft nach einer Viertelstunde Frau Tram an: „Caspar wants to talk to you“, sagt sie. „Könnt Ihr bitte nach Hause kommen? August und Nikolaus rennen die ganze Zeit um den Tisch und ich möchte schlafen.“ Als ich nach Hause komme, spielen Nikolaus und August Rundlauf und machen dabei einen Höllenlärm. Unterdessen backt Frau Tram in aller Seelenruhe einen Pfannkuchen nach dem nächste als ob die Situation sie nichts anginge. Von nun an setzen wir die Kinder vor den Fernseher, wenn Christian und ich einmal zu zweit weggehen wollen.

Frau Tram hat aber für uns andere überlebenswichtige Qualitäten: Sie ist eine echte Pfadfinderin. Nun ist es in Vietnam nämlich nicht so, dass man einfach in den Supermarkt geht, um Kräuter zu kaufen oder in den Fahrradladen, um einen platten Reifen reparieren zu lassen – letzteren Laden gibt es in Vietnam gar nicht. Ohne vietnamesisch Kenntnisse bin ich da natürlich aufgeschmissen. Und da ist Frau Tram eine große Hilfe: Wie von Zauberhand kommen die kaputten Fahrräder wieder repariert in den Keller zurück. Oder sie lädt meine Handytelefonkarte auf. Oder sie weiß, wo man Anissterne zum Kochen kaufen kann.

Wo bitte gibt es eine Telefonkarte?

Kindergeburtstag

Wir kommen von der Kita nach Hause, Caspar rennt schon zum Spielplatz vor. Aufgeregt und zugleich niedergeschlagen kommt er zurück. „Dort ist ein ganz großes Fest!“, ruft er. „Aber wir drüfen nicht mitmachen“, sagt er mit hängenden Schultern. Als wir Richtung Spielplatz kommen ist dort in der Tat ein großes Fest im Gange: Nichts geringes als der 6. Geburtstag eines türkischen Mädchens wird gefeiert. Unter dem riesigen Sonnensegel ist ein langer Tisch aufgebaut, an dem locker 60 Leute Platz haben. Der Tisch, mit weißer Decke gedeckt, biegt sich vor Essen: Pizza, Kuchen, Muffins, Würstchen, Oriental Delights – keine Nationalität muss verzichten. Da hier üblicherweise die ganze Schulklasse eingeladen wird, die Kinder mit ihren Müttern und ihren kleinen Geschwistern kommen, auf die wiederum die Nannys aufpassen, kommen an so einem 6. Geburtstag schon mal schnell 60 bis 80 Leute zusammen.

Eine zehnköpfige Truppe von philippinischen Entertainern, alle in Lila gekleidet, mit Firmenlogo auf dem Rücken, kümmert sich um die Sechsjährigen. Zunächst werden die Mädchen wahlweise als Schmetterlinge oder Prinzessinen geschminkt, die Jungs als Piraten. Dann gibt es diverse Spiele und Wettrennen, schließlich tanzen die Kinder Stopptanz zu Technomusik. Jetzt kommt der Balloontwister und twistet Schwerter, Hunde und Schießgewähre aus Luftballons. Damit sich die kleinen Geschwister nicht langweilen wurde gleich daneben noch eine Hüpfburg aufgebaut, die Jahrmarktdimension hat. „Sometimes it gets big here“, sagt meine neue Freundin Sabine trocken, die bereits seit neun Monaten hier ist und mich schon vor der „Materialschlacht bei Kindergeburtstagen“ gewarnt hatte. Die Party hier hat allerdings meine Vorstellungskraft gesprengt.

Caspars Freundin Carolin als Schmetterling

Caspar, August und Nikolaus gucken derweil betrübt über den Zaun. Ich hatte am Vormittag eine Tüte Luftballons gekauft, um den Nachmittag zu retten. Die kann ich getrost einpacken, interessiert keinen mehr. Da auf der Party locker 40 Kinder und 10 Entertainer herumspringen, schleuse ich unsere Jungs in die Hüpfburg ein. Große Freude. Wenig später spielen auch noch zwei arbeitslose Entertainer mit den Caspar und August Fußball, mein Nachmittag ist doch noch gerettet.

Von Fröschen und Hunden

Um mir die Zeit zu vertreiben, habe ich beschlossen, die besten Restaurants der Stadt aufzusuchen, wobei ich meine Auswahl anhand des Lonely Planets sowie des Restaurantführers der „Foreign Ladies of Vietnam“ getroffen habe. Auf diese Weise lerne ich sicherlich noch ganz andere Ecken der Stadt kennen, außerdem liebe ich Essen.

Der erste Besuch führt mich ins Lion City, dem angeblich besten singapurischen Restaurant der Stadt. Ich liebe Singapore Laksa, eine scharfe Nudelsuppe mit Kokosmilch, Nudeln, Krabben, Tofu und Ei. Um den Restauranttest noch etwas interessanter zu machen, beschließe ich neben Lieblingsgericht noch das ungewöhnlichste Gericht auf der Karte zu bestellen. In diesem Fall ist das leider „Spicy Frog Porridge“. Mich verlässt kurz der Mut, doch ich stehe zu meinem Vorhaben. Wenig später steht die Laksa vor mir, die recht enttäuschend ist. Die Nudeln zu weiche, die Suppe nicht scharf genug. In diesem Moment kommt Geschäftsführer Harry vorbei. „You can eat very spicy for a German“, stellt er fest. Mir läuft die Nase, doch Harry lässt sich von meiner Rotznase nicht abschrecken und plaudert weiter: Im Juni wolle er das erste signapurische Restaurant in Frankfurt eröffnen. Die Zutaten würden vorbereitet und eingeflogen, er brauche keinen großartigen Küchenchef. Das erklärt dann vielleicht auch den enttäuschenden Zustand meiner Laksa.

Nun kommen die Frösche. In einem Tontopf wird das Porridge gereicht, ein geschmacksneutraler Reisschleim, der allein dazu dient, die würzigen Saucen zu verlängern. In einem weiteren Topf liegen die Frösche, überzogen von einer dunklen, klebrigen Sauce, dazu jede Menge Frühlingszwiebeln. Ich probiere Sauce und Zwiebeln, die zu sehr nach Austernsauce und zu wenig nach Chili schmecken. Ich nehmen meinen ganzen Mut zusammen und fische mit meinen Stäbchen die Froschschenkel heraus. Während ich das Bein zwischen den Stäbchen halte sehe ich vor meinem inneren Auge Hunderte von Laubfröschen, die wir als Kinder in Eimern über die Landstraße getragen haben, um sie vor ihrem sicheren Tod zu retten. Ich Heuchlerin. Ich atme tief durch und beiße beherzt zu. Das Ergebnis ist überraschend: Das Fleisch ist herrlich zart, sehr viel zarter als Hühnerbrust, der Geschmack ist etwas fischig. Ich fische noch weitere Teile aus dem Tontopf, kapituliere dann nach einigen Bissen doch zu Harrys großer Enttäuschung. Ich habe meine Zweifel, dass Harrys Geschäft in Frankfurt ein Erfolg wird.

Spicy Frog Porridge

Nachtrag: Als ich wenige Tage später meiner Freundin Sabine begeistert von meinem neune Projekt erzähle, sagt sie: „Dann kannst du ja gleich mal Hund probieren, gibt es hier an jeder Ecke.“ Ich beschließe, das Projekt an dieser Stelle abzubrechen.

Reise nach Angkor Wat

Wieder einmal Feiertag. Am 30. April feiern die Vietnamesen Wiedervereinigung, am 1.5. die Arbeiter. Christian ist vermutlich der einzige Mensch in HCMC, der nächste Woche arbeitet. Die Jungs und ich beschließen daher, die Tage zu nutzen und nach Angkor Wat zu fliegen. Zwischenzeitlich bekomme ich immer wieder Respekt vor meiner eigenen Courage, vor allem weil August oft völlig unkontrollierbar ist und wenn es schlecht läuft auch noch Nikolaus mit ins Boot holt. Ich will aber auch nicht immer auf meine Kinder Rücksicht nehmen, stelle mich diesbezüglich also auf das Schlimmste ein und buche Flüge und Hotel.

Bei unserer Ankunft in Siem Reap holt mich dann auch schon das Schlimmste ein: Um nach Kambodscha einzureisen muss man eine Ankunftskarte, einen Zollschein sowie einen Visumsantrag ausfüllen. Da Caspar und August gerade einmal ihren Vornamen schreiben können, bin ich eine halbe Stunde beschäftigt. Warum haben wir unseren Kindern eigentlich je drei Vornamen geben müssen? August und Nikolaus nehmen in der Zwischenzeit die Ankunftshalle auseinander, Caspar ist – wie immer – beängstigend brav. An der Immigration geraten wir an einen übel gelaunten Beamten: Ich hatte die Visumsnummer noch nicht in der Arrivalkarte eingetragen. Theatralisch nimmt er unsere Pässe auseinander, befiehlt mir ans Ende der Schlange zu gehen und die Ziffern einzutragen. Ich weigere mich ans Ende der Schlange zu gehen, nur um 4 mal 3 Zahlen nachzutragen. „Don´t you understand me?!?!“, brüllt mich der Khmer an. „No, I don´t“,  sage ich und fülle stoisch die Karten aus. Aus dem Augenwinkel sehe ich wie Nikolaus auf das Gepäckband zusteuert – ganz ohne Stempel im Pass – und gen Ausgang abtransportiert wird…..

Ankunft in Siem Reap bei „nur“ 28 Grad

Schließlich kommen wir durch die Kontrolle, der muffige Khmer wünscht mir „Good Luck“, wir sammeln Nikolaus ein. Wir sind gepackt, Nikolaus sitzt im Rucksack auf meinem Rücken, da fällt August auf, dass er noch aufs Klo muss. Also, alle zusammen auf die Damentoilette. Caspar meckert, wir müssten doch eigentlich aufs Jungsklo, wo wir doch mehr Jungs als Mädchen seien. Da höre ich auch schon August schreien: „Mami, Mami, Nicki macht das ganze Klo nass!“ Als ich um die Ecke schaue, hält Nikolaus fröhlich den Wasserschlauch in der Hand und hat in der Tat die gesamte Zelle nass gespritzt.

Endlich sind wir aus dem Flughafen heraus: Zu unserer großen Freude hat es kräftig geregnet, das Thermometer ist auf erfrischende 28 Grad gefallen, zum ersten Mal hole ich meine lange Hose heraus. Als wir im Hotel ankommen ist es bereits dunkel, es gibt – mal wieder- Frühlingsrollen und Fried Rice für die Kinder, ich treffe mich unserem Guide und plane den nächsten Tag: Nachmittags Elefantentour und Tempelbesichtigung. Unterdessen spielen August und Nikolaus in unserem Hotelzimmer lautstark „Nicht den Boden berühren“ und haben dazu sämtliche Möbel umgerückt. Wir lesen den kleinen Wassermann und gehen schlafen.

Der nächste Morgen läuft ganz nach meiner Vorstellung: Wir frühstücken auf der Terrasse am Pool, es gibt ein herrliches Buffet. Nachdem die Kinder abgefüttert sind, springen sie in den Pool während ich in aller Ruhe essen kann – Dim Sum, Nudelsuppe, frisches Obst und natürlich Kaffee. Unsere Kinder wissen mittlerweile, dass ihre Mutter ihnen viel wohlgesonnener ist, wenn sie morgens in aller Ruhe ihre Kaffee trinken kann. Selbst Nikolaus fragt morgens schon: „Kaffee Mami?“

Unser Hotel ist überraschenderweise großartig: Es gibt einen herrlichen Pool, dazu zwei kleine Becken, die zwischen üppigen Grünpflanzen verschwinden. Die Kinder spielen Dschungelbuch. In der Eingangshalle gibt es vier kleine Krokodile, die die Jungs regelmäßig besuchen und sogar füttern dürfen. Der Kinderclub ist zwar nicht groß, aber zur großen Freude der Jungs gibt es dort Tom und Jerry Filme. Bald schon haben die Kinder das Hotel für sich entdeckt und machen sich selbstständig. Netterweise kümmert sich immer ein Poolboy oder jemand von der Rezeption um sie.

Einfach herrlich!


Am späten Nachmittag kommt unser Tourguide Vanna. Wir gehen Elefantenreiten, irgendwie muss ich den Kindern ja die Tempel näher bringen. So ein Elefant ist erschreckend groß, dabei sind die kambodschanischen Elefanten nur halb so groß wie die afrikanischen. Wir klettern auf das drei Meter hohe Podest und steigen auf. Dabei scheine ich die einzige zu sein, der mulmig zumute ist. Die Kinder jauchzen vor Vergnügen, mir ist schwindelig. Auf einem Elefanten den Berg hinauf zu reiten fühlt sich in etwa so an wie bei Seegang 8 über die Ostsee zu segeln. Leider dürfen die Kinder nicht auf den Tempel Phnom Bakheng, von dem man einen wunderbaren Ausblick über Angkor Wat haben soll, so gehen wir bald wieder runter.

Wer hat hier den dicksten Po?

Auf dem Weg lernen wir ein ganz anderes Phänomen kennen: Public Holidays – bis dato hatte ich keine Ahnung, was das heißt. Die Woche um den ersten Mai wird in Asien „Golden Week“ genannt, in allen Ländern ist am 1. Mai frei, in einigen Ländern – etwa in Vietnam- gibt es noch einen zweiten Feiertag. So weit, so gut. Was das für das Reiseaufkommen heißt, sprengt jegliche Vorstellungskraft. Einige Tage später werde ich lesen, dass in dieser Woche allein 25 Millionen Japaner verreist sind. Da kommen noch einmal locker 15 Millionen Vietnamesen hinzu, und die Chinesen habe ich noch gar nicht berücksichtig. Angkor Wat ist das beliebteste Reiseziel in Asien. Und so rennen an diesen Abend gefühlte 10 000 vietnamesische und japanische Touristen den Berg zum Phnom Bakheng hoch. Die Tempelterrasse bietet gerade einmal Platz für 300 Leute und ist schon zwei Stunden vor Sonnenuntergang komplett überfüllt. Die Zuspätgekommenen finden nur noch Platz auf den eigens gebauten Zuschauertribünen am Fuße des Tempels. Dort drängen sich die Menschen wie bei uns auf dem Weihnachtsmarkt. Zum Glück sind wir schon auf dem Rückweg ins Hotel, wo wir noch einmal baden und anschließend auf der Terrasse einen Sundowner nehmen (Mangosaft für die Kinder).

Großer Ansturm am Phnom Bakheng

Am nächsten morgen machen wir uns auf, Ta Prohm zu besichtigen. Den Tomb Rider Tempel, der von Bäumen überwuchert ist. Wir sind um 8 Uhr da – mit uns unsere 3000 bis 5000 vietnamesischen Freunde. Schon auf dem Weg bahnt sich das Unheil an: Die Tuk Tuks reihen sich auf der Straße zum Tempel wie einst die LKWs bei der Zollabfertigung am Irschenberg. „Guckt mal, ein Tuk-Tuk-Stau“, ruft August begeistert. Bei unserer Ankunft werden wir von Verkäufern umringt, die uns Postkarten, Flöten, Reiseführer oder Wasser zum „special price“ verticken wollen. „Warum wollen die uns alle was verkaufen?“, fragt Caspar. Auf dem Weg zum Tempel spielt (wieder einmal) ein Landminenopfer-Orchester. „Guck mal, noch so eine Mistgeburt“, schreit Caspar. Ich atme tief durch und hoffe, dass um uns herum keiner Deutsch versteht. Irgendwie ist die Unbefangenheit der Kinder aber auch erfrischend.

Im Tempel angekommen stolpern wir über Vietnamesen und Russen, letztere sind wenigstens nicht im Badeanzug anzutreffen. Vor den berühmtesten Wurzelbäumen stehen die Leute Schlange, um ein Foto zu machen. Während August an meinem Rockzipfel zehrt, Nikolaus von einer Herde Russen fast zu Tode getrampelt wird und sich ein Trupp Vietnamesen um Caspar schart, um ihn abzulichten, hält unser Tourguide Vanna ein Referat über die Restaurierung Angkor Wats. Es gibt angeblich 30 verschiedene Mörtelsorten, mit denen man die Steine wieder zusammenkleben kann… Die Situation ist komplett absurd, die Atmosphäre alles anders als mystisch, ich kann nur noch lachen.

Nicht im Bild: 1000 andere Touristen, die hinter der Absperrung auf ihren Fototermin warten

Während ich ziemlich genervt bin von Vanna, der lediglich als Wasserträger taugt und nicht versteht, dass ich nicht mit 1000 anderen Touristen durch die Tempel latschen will, hat er bei den Kindern Heldenstatus erlangt. Vanna hat schon einmal eine Python UND eine Kobra gesehen – das ist hier so selten wie in Deutschland einen Dackel anzutreffen. Aber August ist tief beeindruckt. Vanna ist sichtlich geschmeichelt und erzählt Geschichten von der Erleuchtung Buddhas. Die Kinder hören gespannt zu. Vanna zeigt stolz Fotos seiner Kinder auf dem Handy, Caspar quatscht Vanna auf Englisch voll („Look Monkey – monkey big belly“), Nikolaus plappert „Monkey, monkey“ hinterher und August kann nicht genug davon bekommen, zu hören, wie Vanna die Kobra besiegt hat (er ist übrigens einfach stehengeblieben und hat gewartet, bis sie wieder weg war). Es ist wirklich rührend mit anzusehen wie die Vier Freundschaft geschlossen haben. Und ich bin doch froh, noch zwei Hände mehr zu haben.

Vier Freunde

3. Tag: Ab heute bin ich unser Tourguide und Vanna lediglich Erfüllungsgehilfe. Wir stehen um 5.30 Uhr ab und fahren eine Stunde später los. Die Morgenluft ist noch frisch, ich liebe diese Zeit: Auf den Straßen herrscht geschäftiges Treiben, die uniformierten Kinder fahren mit ihren Rädern zur Schule, die Händler karren Obst und Gemüse zum Markt, im Park machen Jung und Alt gemeinsam Sport. Die Stadt ist noch voller Energie bevor – schon wenig später- die träge Hitze einsetzt. Wir gehören zu den ersten Tagestouristen in Angkor Wat, die Sonnenaufgangstouristen kommen uns müde entgegen. Wir haben den Tempel fast für uns allein. Und zum ersten Mal kann ich das fühlen, was in jedem Reiseführer zu lesen ist: Dass Angkor ein mystischer Ort ist. Mitten im Dschungel stehen die über 1000 Jahre alten Tempel, über 400 Quadratkilometer verteilt. Von der schwülen Luft, von Hitze und Regen zerfallen, von Kriegen zerstört. Das Zusammenspiel von Verfall und üppiger Natur ist faszinierend, als sei noch nicht ausgemacht, ob sich der Dschungel die Stadt nicht doch wieder zurückholt.

August und ich klettern in eine alte Bibliothek, die wir für uns allein haben. Die Gemäuer sind noch feuchter als die Luft. Unvorstellbar, dass hier einst eine Million Khmer lebten und bunter Trubel herrschte. Wie unfassbar reich das Volk gewesen sein muss.

So friedlich diese Stunden nun scheinen – sie waren es natürlich nicht: Um 7 Uhr morgens bin ich bereits schweißgebadet, trage Nikolaus auf meinem Rücken, habe Caspar und August je an einer Hand. August jammert von der Sekunde, in der es losgeht, dass ihm die Füße weh tun. Und überhaupt hätte ich gesagt, dass wir auf Tempel klettern würden. „Und jetzt? Nix mit Klettern“, sagt er vorwurfsvoll. Nikolaus hat alle zehn Minuten Durst, Caspar beschwert sich, dass es „nur schrottige Steine“ zu sehen gibt. Und trotzdem gibt es einige wunderbare Momente, etwa als wir auf dem Rückweg einer Affenfamilie beim Morgenbad zusehen. Und auch Caspar und August werden Christian später begeistert von den Tempeln berichten. Beseelt fahren wir ins Hotel. Ich beschließe, keine Tempel nach 10 Uhr zu besichtigen. Die Kinder planschen den Rest des Tages im Pool, ich gehe noch einmal auf den Markt, setze mich ins Café, blicke etwas neidvoll auf die Traveller, die 15 Jahre jünger sind als ich und ungebunden. Das ist vorbei. Und irgendwie auch nicht, nur anders.

Affenfamilie bei der Morgentoilette 

Am vierten Tag wiederholen wir das Programm: aufstehen um 5.30 Uhr, dann Tempel, heute Banyan, der Tempel mit den Gesichtern, den August später zu seinem Lieblingstempel erklären wird. Wir wollen nochmals Elefantenreiten, doch die sind heute ausgebucht (um 9.30 Uhr!). Die Kinder sind enttäuscht, für sie ist Elefantenreiten so selbstverständlich wie Ponyreiten in Rumpshagen. Wir sind angekommen in Kambodscha, das dauert mit Kindern einfach länger. Ich bin traurig, nicht länger hier zu sein. Abends fliegen wir nach Saigon. Ich habe akzeptiert, dass man mit drei kleinen Kindern nur so lange süß ist, bis man ins Flugzeug einsteigt – um danach zum Haßobjekt aller Passagiere zu werden. Zu allem Überdruss sind wir mitten in einer schwäbischen Reisegruppe gelandet, deren Mitreisende gleich zu Beginn fragen, ob man das Schreien der Kinder abstellen könne. Aber ich bin zu tiefenentspannt, um darauf einzugehen. Christian ist unterdessen in Djakarta, am Freitagabend aber können die Kinder ihm endlich von der Reise erzählen. August gefiel – in dieser Reihenfolge – Tuk Tuk fahren, Elefanten reiten und der Tempel mit den Gesichtern am besten. Caspar der große Tempel (Angkor Wat), Elefanten reiten und Vannas Geschichten. Nikolaus plappert aufgeregt dazwischen: „Lefant – Ohren – groß- töhröh“ und rudert dabei heftig mit seinen speckigen Ärmchen, damit sich Christian den großen Elefanten auch ja vorstellen kann.

Schön war´s

Versorgungsengpass

Eines meiner Vietnam-Projekte sollte sein, meine asiatischen Kochkünste zu erweitern. So hatte ich es mir vor unserer Abreise vorgenommen. Vor meinem inneren Auge hatte ich saftige Früchte, exotisches Gemüse sowie frische Fische und Meeresfrüchte gesehen, mit denen ich täglich köstliche Gerichte zubereiten würde. Die Realität war dann recht ernüchternd: Die Gemüseabteilung im An Phu Supermarket ist kaum größer als das Eierregal bei Kaisers, der Fisch ist tiefgefroren und die Obstauswahl beschränkt sich auf einige wenige Bananen – jeder noch so kleine Asia Laden in Berlin-Mitte ist besser sortiert.

Die Obst- und Gemüseabteilung in unserem Supermarkt

Es ist also nicht so, dass ich abends mein Kochbuch wälze, mir überlege, was wir gerne essen möchten und dann die entsprechenden Zutaten kaufe. Mitnichten. Stattdessen gehen ich auf Jagd: Im Snap-Café finde ich ganz annehmbares Fleisch, im Organic Shop ein paar Kräuter. Broccoli? Gibt es mal wieder nicht. Im An Phu Supermarket finde ich mir Glück noch etwas Gemüse, das allerdings schon gut abgelagert ist. Frisches Obst gibt es reichlich, dazu muss ich aber einen guten Kilometer laufen, um zu einen der kleinen Straßenläden zu gelangen. Frischer Fisch bleibt problematisch, entweder zum Binh Than Markt, was immerhin 20 Minuten Fahrt pro Richtung bedeutet, oder in die Metro, aber wer will schon für ein paar Shrimps sich durch den mehrere 1000 Quadratmeter großen Markt kämpfen?!

Nach zwei, drei Wochen habe ich meine ehrgeizigen Kochpläne eingestampft. Stattdessen kocht Frau Tram Pho, wir bestellen Pizza oder ich koche Spaghetti Bolognese. Ich kann es mir die miserable Versorgungslage nur mit der noch schlechteren Infrastruktur erklären. In Indien vergammeln etwa ein Drittel aller Lebensmittel auf den Straßen, in Vietnam kann es nicht anders sein.

Eines Abends kaufe ich im Annam Gourmet Shop (das Pendant zu „Butter Lindner“ in Saigon) Käse, Schinken und Wein. Plötzlich höre ich wir laute Stimmen im Laden. Rund zwanzig Männer eilen in den Laden. Ein Überfall? Keineswegs. Vor dem Geschäft haben fünf Taxis gehalten, voll geladen bis unter das Dach. Die Männer tragen Milch, Gemüse, Reis und Nudeln in Kartons herein. So sieht sie also die Versorgungskette hier aus, denke ich. Kein Wunder, dass das Gemüse oft vergammelt ist bevor es in die Regale kommt.

Kinderkoller

Ich sitze im Deck, meinem Lieblingsmittagsrestaurant. Eine hochschwangere Frau geht an mir vorbei, ich sehe sie entgeistert an. Warum will man überhaupt Kinder in die Welt setzen? Dass sie dem Leben einen Sinn geben, halte ich für die größte Lüge überhaupt. Mein Leben hatte auch vorher einen Sinn. Und sicher könnte ich auch viel sinnvollere Dinge tun als diese drei kleinen Monster großzuziehen. Der Tag fängt damit an, dass Caspar mir bittere Vorwürfe macht, dass er um 6 Uhr morgens kein Tom und Jerry sehen darf und Nikolaus brüllt, weil ich ihm Milch auf die Cornflakes geschüttet habe. August beschließt, dass die Eltern auch nicht mehr fernsehen dürfen, weil die Kinder ja auch nicht mehr glotzen dürfen. Alle jammern, sie wollen nicht in die Kita, Caspar und August verstecken sich in der Kommode. Wir kommen viel zu spät. Nachmittags organisiere ich den Kindern gebrauchte Fahrräder. Sie müssen ja nicht dankbar sein, aber sie sollen mir bitte nicht die Ohren zu jaulen! Nikolaus schreit, weil er kein Fahrrad bekommen hat. Caspar heult, weil er ständig hinfällt. August jammert, weil das Rad drei Zentimeter zu groß ist und er nicht fahren kann. Ich verspreche, diesen misslichen Zustand zu beheben. Warum nicht heute?, fragt August. Geht nicht, kein Werkzeug, erkläre ich. Ich will aber, schreit August. Ich verspreche ihm, Quartett zu spielen. Es geht ihm nicht schnell genug. „Erst sagst du, du spielst mit mir, dann musst du noch deinen Badeanzug anziehen“, wirft er mir vor (das Thermometer zeigt 42 Grad an, und ich will einfach einmal kurz in den Pool springen, ist das wirklich zu viel verlangt???). Die Karten sind ausgeteilt, Nikolaus heult: „Hunger, Hunger…“ In dem Moment donnert Caspar um die Ecke, ins Blumenbeet: „Auuuaaaahhh!“ Ich will allen drei Kindern gleichzeitig gerecht werden, was nicht geht. Ich sollte es mit meinem Schwiegervater halten, der seinen drei Kindern schon früh erklärt hat: „Das Leben ist halt ungerecht.“

Spielzeugjagd

Aus drei sind fünf Monate geworden, wir bleiben länger. Die Bücher sind ausgelesen, die Malhefte vollgekritzelt, die Kinder sind gelangweilt, wir gehen uns auf die Nerven. Wir brauchen dringend Spielzeug! Ich gucke mich bei An Phu Neighbours um, einer lokalen Mailingliste für ALLES. Wir finden ein paar Puzzle, Spiele und zwei Fahrräder für August und Caspar. Die Räder haben einen Platten und sind zu hoch eingestellt. Kein Problem in Vietnam, dem (zumindest manchmal) „can do“-Land: Unser Taxifahrer, der das Problem auch ohne Worte erkannt hat, hält am nächsten Motoshop. Zwischen verschwitzten vietnamesischen Mechanikern stehen meine drei schuluniformierten Jungs und sehen gebannt zu, wie sich fünf (!) Mechaniker mit nacktem Oberkörper um die beiden Räder kümmern. In Windeseile sind die Reifen aufgepumpt, die Sattel tiefer gestellt. 30 Cents wollen sie dafür haben, die uns der Taxifahrer erst einmal auslegt. Alle sind glücklich, nur Nikolaus brüllt, weil er kein Fahrrad bekommen hat….

Auf meine Anzeige melden sich noch etliche Expats, so kurz vor der großen Umzugszeit zum Schuljahresende wollen alle ihr Zeug loswerden. Als ich Lego geschrieben hatte, hatte ich an paar Steine und Platten gedacht. Stattdessen erreichen mich unzählige Mails meiner asiatischen Freunde, die mir solche Dinge andrehen wollen:

Das hatte ich mir nicht unter Lego vorgestellt…

Der nette vietnamesische Verkäufer bietet sogar an, vorbeizukommen, damit ich mir das Zeug ansehen kann. Dafür nähme er auch eine Dreiviertelstunde Anfährt in Kauf. Ich werde hellhörig. Ob das Zeug echt ist? Weiß man hier ja nie…Dankend lehne ich ab,

Elisabeth, auch aus Deutschland, hat mehrere Roller, Laufräder, ferngesteuerte Autos ohne Fernbedinung im Angebot. Auch einen Hund, den sie mir gleich andrehen will als ich das Grundstück betrete. „Den kann man auch prima mit nach Deutschland nehmen, sehr kinderlieb, am besten wäre ein Bauernhof“, sagt sie – ganz ernst gemeint. Ich wehre ab, aber für 10 Euro bekomme ich eine ganze Kiste mit Kram: Autos, Ritterrüstung, Flummis, nichts von Wert, nichts, was bei uns nicht schon längst im Müll gelandet wäre, aber Elisabeth schmeißt ungern Sachen weg.

Geht hier Vielen so, denn die meisten Sachen sind hier nur schwer oder gar nicht zu bekommen. Und so heben hier viele Vieles auf, um es weiter zu tauschen – ein bisschen wie in der DDR. Meine Yogalehrerin will schon seit Wochen ihre (Filter!)-Kaffeemaschine andrehen. Bisher konnte ich mich rausreden, aber ich will nicht ausschließen, dass nicht bald eine Kaffeemaschine in der Küche steht – Molly ist einfach zu nett!

Über das Gerät wird sich Christian vermutlich nicht so sehr freuen wie unsere Jungs über die Ritter, Autos, Roboter, die ich nun zusammengesammelt habe.

Maßgeschneidert – Teil 1

Vor unserer Abreise nach Saigon gab mir meine Schwiegermutter den wertvollen Tipp, ich sollte mir doch dort Kleider schneidern lassen. Hätte ihre Freundin Rica auch gerade gemacht. Super Idee, denn erfahrungsgemäß kann man in Asien zwar an jeder Ecke und für Nichts seine Klamotten waschen lassen, allerdings sind diese nach drei Waschgängen meist auch ruiniert – Farbe raus, Nähte gehen auf…

Mit zwei Hosen, drei Röcken und fünf Blusen im Gepäck reise ich in Saigon an. Auf die Frage, wie der Schneider den hieß, smst meine Schwiegermutter: Ho An oder so ähnlich. Sie hätte auch schreiben können: So einer mit schwarzen Haaren, wäre genauso hilfreich gewesen.

Die Suche nach meinem Schneider nimmt ihren Lauf: Die erste Seidenbluse für 30$ landet ohne Umwege im Müll. Falsche Farbe, viel zu glänzend, konnte ich vorher nicht erkennen. Bei Cocoon in An Phu kann ich mir die Stücke schon fertig ansehen, nur wollen sie mir 37 Euro für eine maßgeschneiderte Leinenhose abnehmen – bei Zara bekomme ich die für 30 Euro.

Ich ziehe zum Binh Tay Market, um Stoffe zu kaufen. Dort werde ich vom Angebot erschlagen: Gut 30 Stände bieten je rund 1000 Stoffe an, alle „same, same, but different“ – und vor allem blumig. Eine Wolke von getrockneten Shrimps, die wenige Meter weiter verkauft werden, und gedämpften Reis zieht an mir vorbei. Irgendwo im Gewühl finde ich einen Stand mit schlichtem Leinen und Baumwolle. Da ich zu diesem Zeitpunkt davon ausgehe, nur noch vier Wochen in Vietnam zu sein, tätige ich einen Großeinkauf, dass mir die Verkäufer die Tüten nach Hause schleppen müssen.

Binh Tay Markt: Vorne Stoff, hinten Shrimps
Blümchen oder Punkte: Vor allem Farbe

Nun brauche ich noch einen Schneider. T&T Taylor in An Phu wollen bescheidene 8 Euro, um meine Hosen zu kopieren. Um das zu herauszubekommen, habe ich allerdings auch eine halbe Stunde gebraucht, hoffentlich können sie besser nähen als Englisch sprechen. Coccon will 16 Euro pro Hose, wir einigen uns auf 12 Euro – 4 Euro Übersetzungsgebühr. Eine Woche später ist unsere Kollektion – rund 20 Teile für Christian und mich – fertig. Das Ergebnis ist durchwachsen. Meine Blümchenbluse sieht aus wie ein Putzkittel (nie wieder Blümchen!), mein Jeanskleid endet knapp unter meinem Po („same, same, but more beautiful“, erklärt die Schneiderin), Christians Leinenbluse ist aus so schwerem Stoff, dass man daraus lieber einen (vietnamesischen) Wintermantel schneidern hätte sollen. Die Hälfte der Kleider wird vermutlich ungetragen in der Altkleidersammlung landen. „Weißt du, mit dem Schneidern ist es vielleicht so wie mit dem asiatischen Kochen“, sagt mein Mann, leidgeprüft aus eigener Erfahrung. „Es dauert eine Weile, bis man es heraus hat….“

Beautyday

Beautyday Heute ist Schönheitstag, ich brauche dringend eine Rundumerneuerung (Waxen, Maniküre, Pediküre), die Jungs einen Haarschnitt.

Quynh´s – da gehen alle hin

Ich gehe zu „Quynh`s“, wurde mir mit den Worten empfohlen, „da, wo alle hingehen“. Quynh´s ist eine Art Fabrik für Haut-, Haar- und Nagelpflege. An diesem Morgen bin ich die erste Kundin, auf mich warten bereits 30 bis 40 Arbeitsbienen, die allerdings recht unmotiviert auf den Sofas herumliegen, frühstücken (Reis mit Gemüse aus Styroporschachteln) oder wild auf ihrem Smartphones herumtippen oder einfach noch ein Schläfchen machen.

Die resolute Chefin jagt gleich zwei Mädels auf mich los – in nur 40 Minuten (inklusive Trocknen) erstrahlen meine Fuß- und Fingernägel in neuem Glanz, weitere vier Minuten und meine Beine sind gewachst, ebenfalls von zwei Mädchen gleichzeitig. Ein Traum für so ungeduldige Menschen wie mich. Lohnkosten spielen hier keine Rolle und auf jedes Problem werden mehr Menschen als nötig angesetzt – genial! 50 Minuten später bin ich wieder hübsch, zahle 2,80 Euro für Mani- und Pediküre zusammen, weitere 5 Euro fürs Wachsen. Träumchen.

Das Ergebnis kann sich sehen lassen!

Als ich den Laden verlasse, ist dieser rappelvoll. Und immer sitzen noch zehn bis fünfzehn Mädels arbeitslos rum, blättern lustlos in französischen Illustrierten. Ich bin mir sicher, man könnte Mani- und Pediküre, Wachsen und Dauerwelle synchronisieren. Dann würden eben zehn „Spa-therapists“ gleichzeitig auf mich losgelassen.

Mit den Jungs hätte ich auch besser zu „Quynh´s“ gehen sollen. Stattdessen bin ich dort hingegangen, „wo alle ihren Kindern die Haare schneiden“ lassen: „Concept Coiffure“, die unser Appointment per Mail mit „artistic regards“ unterschreiben – das hätte mich schon skeptisch werden lassen sollen. Der Laden zielt auf zahlungskräftige Expats ab. Angeblich gibt es aber für jedes Kind ein I-Pad auf dem sie spielen können. Als wir ankommen sind alle I-Pads kaputt bis auf eines. Große Katastrophe. Die Jungs prügeln sich um das Ding während zwei Vietnamesen, die allenfalls leidlich Englisch sprechen, aufgeregt um sie herum springen.

Nikolaus hat sich ein Ipad erkämpft

„Layers?“, fragt der Cheg-Coiffeur. Ich sage ja und bereue es später bitter: Nikolaus und Caspar sehen aus wie ein Wischmopp, Caspar ist den Tränen nahe, weil er auch aussehen will, „August oder wie ein cooler Surfer“. Für drei Haarschnitte zahle ich das 18fache einer Mani- und Pediküre bei „Quynh´s“. Dort werde ich das nächste Mal mit den Jungs auch hingehen, ein Ipad und ein Foto von ihren Haarschnitten mitnehmen – denn kopieren können die Vietnamesen ja.