Wieder einmal Feiertag. Am 30. April feiern die Vietnamesen Wiedervereinigung, am 1.5. die Arbeiter. Christian ist vermutlich der einzige Mensch in HCMC, der nächste Woche arbeitet. Die Jungs und ich beschließen daher, die Tage zu nutzen und nach Angkor Wat zu fliegen. Zwischenzeitlich bekomme ich immer wieder Respekt vor meiner eigenen Courage, vor allem weil August oft völlig unkontrollierbar ist und wenn es schlecht läuft auch noch Nikolaus mit ins Boot holt. Ich will aber auch nicht immer auf meine Kinder Rücksicht nehmen, stelle mich diesbezüglich also auf das Schlimmste ein und buche Flüge und Hotel.
Bei unserer Ankunft in Siem Reap holt mich dann auch schon das Schlimmste ein: Um nach Kambodscha einzureisen muss man eine Ankunftskarte, einen Zollschein sowie einen Visumsantrag ausfüllen. Da Caspar und August gerade einmal ihren Vornamen schreiben können, bin ich eine halbe Stunde beschäftigt. Warum haben wir unseren Kindern eigentlich je drei Vornamen geben müssen? August und Nikolaus nehmen in der Zwischenzeit die Ankunftshalle auseinander, Caspar ist – wie immer – beängstigend brav. An der Immigration geraten wir an einen übel gelaunten Beamten: Ich hatte die Visumsnummer noch nicht in der Arrivalkarte eingetragen. Theatralisch nimmt er unsere Pässe auseinander, befiehlt mir ans Ende der Schlange zu gehen und die Ziffern einzutragen. Ich weigere mich ans Ende der Schlange zu gehen, nur um 4 mal 3 Zahlen nachzutragen. „Don´t you understand me?!?!“, brüllt mich der Khmer an. „No, I don´t“, sage ich und fülle stoisch die Karten aus. Aus dem Augenwinkel sehe ich wie Nikolaus auf das Gepäckband zusteuert – ganz ohne Stempel im Pass – und gen Ausgang abtransportiert wird…..
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Ankunft in Siem Reap bei „nur“ 28 Grad |
Schließlich kommen wir durch die Kontrolle, der muffige Khmer wünscht mir „Good Luck“, wir sammeln Nikolaus ein. Wir sind gepackt, Nikolaus sitzt im Rucksack auf meinem Rücken, da fällt August auf, dass er noch aufs Klo muss. Also, alle zusammen auf die Damentoilette. Caspar meckert, wir müssten doch eigentlich aufs Jungsklo, wo wir doch mehr Jungs als Mädchen seien. Da höre ich auch schon August schreien: „Mami, Mami, Nicki macht das ganze Klo nass!“ Als ich um die Ecke schaue, hält Nikolaus fröhlich den Wasserschlauch in der Hand und hat in der Tat die gesamte Zelle nass gespritzt.
Endlich sind wir aus dem Flughafen heraus: Zu unserer großen Freude hat es kräftig geregnet, das Thermometer ist auf erfrischende 28 Grad gefallen, zum ersten Mal hole ich meine lange Hose heraus. Als wir im Hotel ankommen ist es bereits dunkel, es gibt – mal wieder- Frühlingsrollen und Fried Rice für die Kinder, ich treffe mich unserem Guide und plane den nächsten Tag: Nachmittags Elefantentour und Tempelbesichtigung. Unterdessen spielen August und Nikolaus in unserem Hotelzimmer lautstark „Nicht den Boden berühren“ und haben dazu sämtliche Möbel umgerückt. Wir lesen den kleinen Wassermann und gehen schlafen.
Der nächste Morgen läuft ganz nach meiner Vorstellung: Wir frühstücken auf der Terrasse am Pool, es gibt ein herrliches Buffet. Nachdem die Kinder abgefüttert sind, springen sie in den Pool während ich in aller Ruhe essen kann – Dim Sum, Nudelsuppe, frisches Obst und natürlich Kaffee. Unsere Kinder wissen mittlerweile, dass ihre Mutter ihnen viel wohlgesonnener ist, wenn sie morgens in aller Ruhe ihre Kaffee trinken kann. Selbst Nikolaus fragt morgens schon: „Kaffee Mami?“
Unser Hotel ist überraschenderweise großartig: Es gibt einen herrlichen Pool, dazu zwei kleine Becken, die zwischen üppigen Grünpflanzen verschwinden. Die Kinder spielen Dschungelbuch. In der Eingangshalle gibt es vier kleine Krokodile, die die Jungs regelmäßig besuchen und sogar füttern dürfen. Der Kinderclub ist zwar nicht groß, aber zur großen Freude der Jungs gibt es dort Tom und Jerry Filme. Bald schon haben die Kinder das Hotel für sich entdeckt und machen sich selbstständig. Netterweise kümmert sich immer ein Poolboy oder jemand von der Rezeption um sie.
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Einfach herrlich! |
Am späten Nachmittag kommt unser Tourguide Vanna. Wir gehen Elefantenreiten, irgendwie muss ich den Kindern ja die Tempel näher bringen. So ein Elefant ist erschreckend groß, dabei sind die kambodschanischen Elefanten nur halb so groß wie die afrikanischen. Wir klettern auf das drei Meter hohe Podest und steigen auf. Dabei scheine ich die einzige zu sein, der mulmig zumute ist. Die Kinder jauchzen vor Vergnügen, mir ist schwindelig. Auf einem Elefanten den Berg hinauf zu reiten fühlt sich in etwa so an wie bei Seegang 8 über die Ostsee zu segeln. Leider dürfen die Kinder nicht auf den Tempel Phnom Bakheng, von dem man einen wunderbaren Ausblick über Angkor Wat haben soll, so gehen wir bald wieder runter.
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Wer hat hier den dicksten Po? |
Auf dem Weg lernen wir ein ganz anderes Phänomen kennen: Public Holidays – bis dato hatte ich keine Ahnung, was das heißt. Die Woche um den ersten Mai wird in Asien „Golden Week“ genannt, in allen Ländern ist am 1. Mai frei, in einigen Ländern – etwa in Vietnam- gibt es noch einen zweiten Feiertag. So weit, so gut. Was das für das Reiseaufkommen heißt, sprengt jegliche Vorstellungskraft. Einige Tage später werde ich lesen, dass in dieser Woche allein 25 Millionen Japaner verreist sind. Da kommen noch einmal locker 15 Millionen Vietnamesen hinzu, und die Chinesen habe ich noch gar nicht berücksichtig. Angkor Wat ist das beliebteste Reiseziel in Asien. Und so rennen an diesen Abend gefühlte 10 000 vietnamesische und japanische Touristen den Berg zum Phnom Bakheng hoch. Die Tempelterrasse bietet gerade einmal Platz für 300 Leute und ist schon zwei Stunden vor Sonnenuntergang komplett überfüllt. Die Zuspätgekommenen finden nur noch Platz auf den eigens gebauten Zuschauertribünen am Fuße des Tempels. Dort drängen sich die Menschen wie bei uns auf dem Weihnachtsmarkt. Zum Glück sind wir schon auf dem Rückweg ins Hotel, wo wir noch einmal baden und anschließend auf der Terrasse einen Sundowner nehmen (Mangosaft für die Kinder).
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Großer Ansturm am Phnom Bakheng |
Am nächsten morgen machen wir uns auf, Ta Prohm zu besichtigen. Den Tomb Rider Tempel, der von Bäumen überwuchert ist. Wir sind um 8 Uhr da – mit uns unsere 3000 bis 5000 vietnamesischen Freunde. Schon auf dem Weg bahnt sich das Unheil an: Die Tuk Tuks reihen sich auf der Straße zum Tempel wie einst die LKWs bei der Zollabfertigung am Irschenberg. „Guckt mal, ein Tuk-Tuk-Stau“, ruft August begeistert. Bei unserer Ankunft werden wir von Verkäufern umringt, die uns Postkarten, Flöten, Reiseführer oder Wasser zum „special price“ verticken wollen. „Warum wollen die uns alle was verkaufen?“, fragt Caspar. Auf dem Weg zum Tempel spielt (wieder einmal) ein Landminenopfer-Orchester. „Guck mal, noch so eine Mistgeburt“, schreit Caspar. Ich atme tief durch und hoffe, dass um uns herum keiner Deutsch versteht. Irgendwie ist die Unbefangenheit der Kinder aber auch erfrischend.
Im Tempel angekommen stolpern wir über Vietnamesen und Russen, letztere sind wenigstens nicht im Badeanzug anzutreffen. Vor den berühmtesten Wurzelbäumen stehen die Leute Schlange, um ein Foto zu machen. Während August an meinem Rockzipfel zehrt, Nikolaus von einer Herde Russen fast zu Tode getrampelt wird und sich ein Trupp Vietnamesen um Caspar schart, um ihn abzulichten, hält unser Tourguide Vanna ein Referat über die Restaurierung Angkor Wats. Es gibt angeblich 30 verschiedene Mörtelsorten, mit denen man die Steine wieder zusammenkleben kann… Die Situation ist komplett absurd, die Atmosphäre alles anders als mystisch, ich kann nur noch lachen.
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Nicht im Bild: 1000 andere Touristen, die hinter der Absperrung auf ihren Fototermin warten |
Während ich ziemlich genervt bin von Vanna, der lediglich als Wasserträger taugt und nicht versteht, dass ich nicht mit 1000 anderen Touristen durch die Tempel latschen will, hat er bei den Kindern Heldenstatus erlangt. Vanna hat schon einmal eine Python UND eine Kobra gesehen – das ist hier so selten wie in Deutschland einen Dackel anzutreffen. Aber August ist tief beeindruckt. Vanna ist sichtlich geschmeichelt und erzählt Geschichten von der Erleuchtung Buddhas. Die Kinder hören gespannt zu. Vanna zeigt stolz Fotos seiner Kinder auf dem Handy, Caspar quatscht Vanna auf Englisch voll („Look Monkey – monkey big belly“), Nikolaus plappert „Monkey, monkey“ hinterher und August kann nicht genug davon bekommen, zu hören, wie Vanna die Kobra besiegt hat (er ist übrigens einfach stehengeblieben und hat gewartet, bis sie wieder weg war). Es ist wirklich rührend mit anzusehen wie die Vier Freundschaft geschlossen haben. Und ich bin doch froh, noch zwei Hände mehr zu haben.
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Vier Freunde |
3. Tag: Ab heute bin ich unser Tourguide und Vanna lediglich Erfüllungsgehilfe. Wir stehen um 5.30 Uhr ab und fahren eine Stunde später los. Die Morgenluft ist noch frisch, ich liebe diese Zeit: Auf den Straßen herrscht geschäftiges Treiben, die uniformierten Kinder fahren mit ihren Rädern zur Schule, die Händler karren Obst und Gemüse zum Markt, im Park machen Jung und Alt gemeinsam Sport. Die Stadt ist noch voller Energie bevor – schon wenig später- die träge Hitze einsetzt. Wir gehören zu den ersten Tagestouristen in Angkor Wat, die Sonnenaufgangstouristen kommen uns müde entgegen. Wir haben den Tempel fast für uns allein. Und zum ersten Mal kann ich das fühlen, was in jedem Reiseführer zu lesen ist: Dass Angkor ein mystischer Ort ist. Mitten im Dschungel stehen die über 1000 Jahre alten Tempel, über 400 Quadratkilometer verteilt. Von der schwülen Luft, von Hitze und Regen zerfallen, von Kriegen zerstört. Das Zusammenspiel von Verfall und üppiger Natur ist faszinierend, als sei noch nicht ausgemacht, ob sich der Dschungel die Stadt nicht doch wieder zurückholt.
August und ich klettern in eine alte Bibliothek, die wir für uns allein haben. Die Gemäuer sind noch feuchter als die Luft. Unvorstellbar, dass hier einst eine Million Khmer lebten und bunter Trubel herrschte. Wie unfassbar reich das Volk gewesen sein muss.
So friedlich diese Stunden nun scheinen – sie waren es natürlich nicht: Um 7 Uhr morgens bin ich bereits schweißgebadet, trage Nikolaus auf meinem Rücken, habe Caspar und August je an einer Hand. August jammert von der Sekunde, in der es losgeht, dass ihm die Füße weh tun. Und überhaupt hätte ich gesagt, dass wir auf Tempel klettern würden. „Und jetzt? Nix mit Klettern“, sagt er vorwurfsvoll. Nikolaus hat alle zehn Minuten Durst, Caspar beschwert sich, dass es „nur schrottige Steine“ zu sehen gibt. Und trotzdem gibt es einige wunderbare Momente, etwa als wir auf dem Rückweg einer Affenfamilie beim Morgenbad zusehen. Und auch Caspar und August werden Christian später begeistert von den Tempeln berichten. Beseelt fahren wir ins Hotel. Ich beschließe, keine Tempel nach 10 Uhr zu besichtigen. Die Kinder planschen den Rest des Tages im Pool, ich gehe noch einmal auf den Markt, setze mich ins Café, blicke etwas neidvoll auf die Traveller, die 15 Jahre jünger sind als ich und ungebunden. Das ist vorbei. Und irgendwie auch nicht, nur anders.
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Affenfamilie bei der Morgentoilette |
Am vierten Tag wiederholen wir das Programm: aufstehen um 5.30 Uhr, dann Tempel, heute Banyan, der Tempel mit den Gesichtern, den August später zu seinem Lieblingstempel erklären wird. Wir wollen nochmals Elefantenreiten, doch die sind heute ausgebucht (um 9.30 Uhr!). Die Kinder sind enttäuscht, für sie ist Elefantenreiten so selbstverständlich wie Ponyreiten in Rumpshagen. Wir sind angekommen in Kambodscha, das dauert mit Kindern einfach länger. Ich bin traurig, nicht länger hier zu sein. Abends fliegen wir nach Saigon. Ich habe akzeptiert, dass man mit drei kleinen Kindern nur so lange süß ist, bis man ins Flugzeug einsteigt – um danach zum Haßobjekt aller Passagiere zu werden. Zu allem Überdruss sind wir mitten in einer schwäbischen Reisegruppe gelandet, deren Mitreisende gleich zu Beginn fragen, ob man das Schreien der Kinder abstellen könne. Aber ich bin zu tiefenentspannt, um darauf einzugehen. Christian ist unterdessen in Djakarta, am Freitagabend aber können die Kinder ihm endlich von der Reise erzählen. August gefiel – in dieser Reihenfolge – Tuk Tuk fahren, Elefanten reiten und der Tempel mit den Gesichtern am besten. Caspar der große Tempel (Angkor Wat), Elefanten reiten und Vannas Geschichten. Nikolaus plappert aufgeregt dazwischen: „Lefant – Ohren – groß- töhröh“ und rudert dabei heftig mit seinen speckigen Ärmchen, damit sich Christian den großen Elefanten auch ja vorstellen kann.
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Schön war´s
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